Die Hünengräber

Im moosigen Kleide der einsamen Haide
Erhebt sich die Hügelreih,
Von Menschen gemieden, dort schlafen im Frieden
Gewaltiger Hünen drei.

Verhallt ihre Namen, Jahrhunderte kamen,
Jahrhunderte zogen vorbei,
Und Blumen entsprießen den Gräbern der Riesen,
Stets schmückt ja der Frühling sie neu.

Wenn Thau sie befeuchtet, wenn Vollmond beleuchtet
Die Haide mit Silberschein,
Scheint geistiges Leben darüber zu schweben,
Ein tanzender Elfenreihn.

Der Wandrer:

„Ihr Siedler der Grüfte, ihr Blumen voll Düfte,
Einsam den Hügeln entblüht,
O wollet mir singen von vergangnen Dingen,
Von der alten Zeit ein Lied!“

Wie Blumen:

„Wir blühen seit gestern, gleich unsern Schwestern,
Die vor uns im Lenz geblüht.
Mußt die Geister fragen, ob Antwort sie sagen,
Ob sie dir singen ein Lied?“ —

Der Wandrer:

„Ihr Wächter der Grüfte, ihr Geister der Lüfte,
Sagt Elfen mir und Feen,
Was in Dunkelheiten vergangner Zeiten
An diesem Ort geschehn?“

Wie Elfen:

„Wir wallen und weben, wir flattern und schweben
Wie Lüftchen hin und her,
Mußt die Schläfer fragen, ob Antwort sie sagen?
Für uns fragst du zu schwer.“

Der Wandrer:

„So zürnt nicht dem Kecken, gewaltige Recken
In den Gräbern lang und breit!
Erhebt eure Stimme, singt, sei’s auch im Grimme,
Ein Lied von alter Zeit!“

– – –

„Ach — die Schläfer schweigen, die Blumen neigen
Ihr Haupt und flüstern still
Im Thaugefunkel — der Zeiten Dunkel
Mir keines lichten will!“ —

Geisterstimme:

„Die Formen veralten; in Wechselgestalten
Gebiert aus der Zeit sich die Zeit,
Und spinnt ohne Stocken vom klingenden Rocken
Den Faden der Ewigkeit.“ —

von Ludwig Bechstein (1801–1860)
Aus der Sammlung Wanderbuch und Wanderbilder

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