Paläolithische Fels- und Höhlenkunst in Mitteleuropa?

Harald Floss / Andreas Pastoors (Hrsg.): Paleolithic rock and cave art in Central Europe? Session 31 of the XIXth International Rock Art Conference IFRAO 2015 „Symbols in the Landscape: Rock Art and its Context” held in Cáceres (Spain) from the 31th of August until the 4th of September 2015.
Verlag Marie Leidorf: Rahden/Westf. 2018
21 x 29,7 cm (DIN A4); Paperback; 189 Seiten, 170 Abbildungen, 6 Tafeln
ISBN 978-3-86757-089-3; 34,80 €

rezensiert von Daniel Lau

Parallelen zu den international bekannten und bedeutenden Fels- und Höhlenbildfundstellen in Spanien und Frankreich (die von Henri Breuil als six géants bezeichneten Fundstellen von Altamira, Font-de-Gaume, Lascaux, Les Trois Frères, Les Combarelles und Niaux) gibt es bis heute nicht in Zentraleuropa. Dennoch kamen in den letzten Jahren vermehrt vereinzelte Fundmeldungen aus Frankreich, Deutschland, Rumänien Tschechien und Serbien auf, die zumindest die Diskussion um paläolithische Fels- und Höhlenkunst neu entfacht haben. Neben einer Zusammenfassung dieser neuen Fundstellen will der Band einen methodischen Zugang liefern, um die Frage zu beantworten, ob es paläolithische Fels- und Höhlenkunst in Mitteleuropa gab (S. 1).

Der Tagungsband enthält neben einer Einführung der beiden Herausgeber zehn Beiträge, die aus der Session 31 der 19. International Rock Art Conference IFRAO 2015 unter dem Titel „Symbols in the Landscape: Rock Art and its Context” hervorgegangen sind. Jeweils fünf der Beiträge sind in französischer und englischer Sprache verfasst. Jedem Beitrag sind französische, englische und deutsche Zusammenfassungen vorangestellt. Die Einleitung umfasst zwei Seiten, der Umfang der Einzelbeiträge liegt zwischen sechs und 32 Seiten, jeweils reich bebildert. Die Abbildungen im Text sind sowohl schwarz-weiß als auch farbig.

Die ersten drei Beiträge behandeln französische Fundstellen im Pariser Becken (das gemalte Pferd von la Justice in Boutigny, die Gravuren eines Pferdes und einer Vulva aus la Ségognole in Noisy-sur-École und die Gravur eines Auerochsen aus dem Terrier au Renard in Buno-Bonneveaux), die Höhle Agneux I in Rully, Saône-et-Loire (fragmentarisch erhaltene gemalte und geritzte Tierdarstellungen), und die Grotte des Gorges in Franche-Comté (Fund eines aus einem Ammonitenfragment hergestellten Bärenköpfchens und tiergestaltige Gravuren).
Vier Beiträge widmen sich deutschen Fundstellen: ein gravierter Schieferfelsen in einem Tal im Hunsrück bei Gondershausen (Pferdedarstellungen), Abri Allerberg bei Göttingen (gravierte Rinderdarstellung), Schwäbische Alb (bemalte Kalksteine, Bärenschliffe und Gravierungen im Hohle Fels) und die Mäanderhöhle in Franken (angebliche Gravierungen).
Jeweils ein Beitrag beschäftigt sich mit Fundstellen in der Tschechischen Republik (Domika und Ardovská Höhle, Malereien, Zeichen und Fackelspuren), Serbien (Selačka 3-Höhle, Malerei) und Rumänien (Coliboaia-Höhle, Malerei).

Nicht alle Beiträge behandeln ausschließlich paläolithische Fels- oder Höhlenbilder. Einige Beiträge zeigen, dass eine Datierung oftmals schwierig ist oder revidiert werden muss. So ist die Rinderdarstellung vom Abri Allerberg in der Datierung völlig unsicher und die Gravuren aus der Mäanderhöhle in Franken haben sich als nicht anthropogen herausgestellt. Die Kunst aus der Domika und der Ardovská Höhle in der Tschechischen Republik wurden zunächst pleistozän datiert, bei einer Nachuntersuchung wurden die Befunde jedoch in das Mesolithikum/Neolithikum (Domika) bzw. in die vorrömische Eisenzeit (Ardovská) datiert.
Die Beiträge zeigen neben den Schwierigkeiten der Datierung von Fels- und Höhlenbildern unterschiedlich methodische Herangehensweisen auf: neben klassisch stilistischen/ikonografischen Vergleichen zu anderen Fundstellen und dem Heranziehen von mobilen Artefakten in der unmittelbaren Umgebung der Fundstelle, um diese in einen entsprechenden archäologischen Kontext zu bringen, werden auch digitale Methoden der Sichtbarmachung bzw. Hervorhebung der feinen Gravuren bzw. Malereien gezeigt. Schließlich warnen einige Beiträge auch vor den Folgen, die eine Veröffentlichung dieser Fundstellen haben kann, wenn Scharen von Schaulustigen zu den Orten Reisen und dort irreversible Schäden anrichten, so dass oft nicht anders darauf reagiert werden kann, als die Eingänge zu den Fundstellen mit Eisengittern zu verschließen – bei offenen Stationen, wie den Schieferfelsgravuren von Gondershausen, ist dies jedoch nicht möglich, so dass andere Konzepte des Denkmalerhaltes erdacht werden müssen.

Insgesamt stellt der Tagungsband eine praktische Anthologie unterschiedlichster Perspektiven zur Verfügung, in denen hilfreiche Methoden und Vorgehensweisen skizziert werden, um zentraleuropäische Fels- und Höhlenkunst zu erforschen und sich diesem Themenkomplex anzunähern.
Wenngleich nicht alle Entdeckungen anthropogen sind, und es sich bei den vorgestellten Fundstellen um Einzelphänomene handelt, rechtfertigt die Befundlage dennoch einen aktuellen Diskurs in den relevanten Disziplinen und Forschungsrichtungen, die sich mit paläolithischer Kunst beschäftigen. Die Frage, ob es paläolithische Fels- und Höhlenkunst in Zentraleuropa gibt, kann also positiv beantwortet werden, dennoch steht die Forschung in diesem Bereich noch am Anfang.

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